Tempolimits in Deutschland

Was quasi-religiöse nationale Obsessionen für große Teile der Bevölkerung eines Landes angeht, steht die deutsche Abneigung gegen Tempolimits auf der Autobahn auf einer Stufe mit Waffenkontrolle in Amerika und Walfang in Japan.

– Katrin Bennhold, New York Times,
Verkehrsschild, das das Ende aller Beschränkungen (inklusive Tempolimit) anzeigt aller Beschränkungen (einschließlich der Geschwindigkeitsbegrenzungen)

Deutsche Autobahnen sind berühmt dafür, dass sie kein allgemeines Tempolimit haben, obwohl etwa 30 % von ihnen eine Art von temporärem oder permanentem Limit haben. Etwa 21% der deutschen Autobahnen haben statische Limits (temporär oder permanent), die durch traditionelle Verkehrsschilder angezeigt werden. Weitere 9 % sind mit Autobahnkontrollsystemen ausgestattet, die zeit-, wetter- oder verkehrsabhängig variable Geschwindigkeitsbegrenzungen anzeigen können. Die meisten von ihnen sind bei guten Bedingungen ausgeschaltet (= kein Limit). Auf Autobahnabschnitten ohne Tempolimit kommt es häufig vor, dass man von Autos oder Motorrädern überholt wird, die mit mehr als 200 km/h (125 mph) unterwegs sind. Es gilt jedoch eine empfohlene Richtgeschwindigkeit von 130 km/h (81 mph). Das Fahren mit höheren Geschwindigkeiten ist zwar nicht strafbar, aber die erhöhte Betriebsgefahr kann zu einer Teilhaftung für Schäden führen. Außerdem ist es gesetzlich verboten, mit einer Geschwindigkeit zu fahren, die den Sicherheitsabstand des Fahrzeugs übersteigt. Auf allen deutschen Straßen gibt es Geschwindigkeitsbegrenzungen für Lkw, Busse, Pkw mit Anhängern und kleinmotorisierte Fahrzeuge (Mofas etc.).

Die Einführung eines bundesweiten Tempolimits auf Autobahnen und autobahnähnlichen Straßen steht seit Jahrzehnten auf der Agenda verschiedener politischer und umweltpolitischer Gruppierungen, doch gibt es derzeit keine Pläne seitens der Bundesregierung in dieser Angelegenheit. Die meisten Deutschen sind jedoch für ein generelles Tempolimit.

Geschichte der Autobahn-Geschwindigkeitsbegrenzungen

Im Zuge der Ölkrise 1973 wurde ein bundesweites Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen eingeführt, um Treibstoff zu sparen und drohenden Engpässen entgegenzuwirken. Umwelt- oder Sicherheitsbedenken wurden damals nicht berücksichtigt. Die Maßnahme galt nur von Dezember 1973 bis März 1974; während die Regierung Schmidt und der Bundestag die Beibehaltung des Tempolimits befürworteten, setzte sich der Bundesrat Anfang 1974 erfolgreich für die Aufhebung des Gesetzes ein. Als Kompromiss wurde 1978 eine unverbindliche „Empfohlene Richtgeschwindigkeit“ auf Autobahnen und „Landstraßen außerhalb geschlossener Ortschaften mit Mittelstreifen oder ohne Mittelstreifen und durchgehender Überholspur in beide Richtungen“ eingeführt.

Als eine Art „Gentlemen’s Agreement“ zwischen Bundesregierung und Autoindustrie beschränkten die deutschen Automobilhersteller ihre Hochleistungsfahrzeuge auf eine Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h, die auch heute noch für Serienfahrzeuge gilt. Das Gesetz von 1978 ist im Grunde noch heute in Kraft, obwohl es inzwischen kaum noch Autobahnen ohne Beschränkungen gibt.

Im Gegensatz zur Idee der Unverbindlichkeit stellte ein Urteil des Bundesgerichtshofs von 1992 fest, dass die Richtgeschwindigkeit eingehalten werden muss und dass ein Autofahrer, der einen Unfall mit höherer Geschwindigkeit verursacht, sich nicht auf unvorhersehbare Ereignisse als Verteidigung berufen kann. Während dieses Urteil Auswirkungen auf die Haftung bei Unfällen oberhalb von 130 km/h hatte, ist die Richtgeschwindigkeit auch heute noch keine verbindliche Höchstgeschwindigkeit für Fahrten auf unbeschränkten Autobahnabschnitten, und ihre Überschreitung ist nicht rechtswidrig.

Das Umweltbundesamt wiederholte Anfang 2007 seine Empfehlung für ein verbindliches, flächendeckendes Tempolimit, doch die Regierung Merkel sah keinen Bedarf dafür. Ein SPD-Parteitag 2007 führte dazu, dass die Forderung nach einem Autobahn-Tempolimit in das Parteiprogramm aufgenommen wurde, gegen den Widerstand in den eigenen Reihen der SPD. Obwohl die SPD damals in einer Regierungskoalition mit Angela Merkels CDU war, lehnte die Regierung den Vorschlag offiziell ab.

Auch ohne ein generelles Tempolimit haben Länder und sogar Kommunen die Möglichkeit, die Geschwindigkeit zu begrenzen. Die Stadt Köln hat auf dem stark befahrenen Kölner Autobahnring ein Tempolimit eingerichtet. Der Stadtstaat Bremen hat mit Wirkung vom 9. April 2008 ein Tempolimit von 120 km/h als Landesgesetz erlassen und begründet dies mit dem Umweltschutz. Die meisten bremischen Autobahnen hatten bereits eine gewisse Geschwindigkeitsbeschränkung aufgrund von Staus und Lärm, und die neue Maßnahme betraf nur 11 km (6,8 Meilen) der zuvor unbeschränkten Autobahn.

Nach mehr als einem Jahrzehnt fast völliger Abwesenheit aus dem politischen Diskurs wurde die Frage der Einführung einer pauschalen Höchstgeschwindigkeitsbeschränkung auf deutschen Autobahnen im Januar 2019 von einem Ausschuss der Bundesregierung zur Zukunft der Mobilität und zur Emissionsreduzierung erneut aufgegriffen. In ihrem ersten Vorbericht empfiehlt die Kommission unter anderem höhere Kraftstoffpreise und die Einführung eines Autobahn-Tempolimits. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer bezeichnete die im Bericht dargelegten Pläne pauschal als „gegen jede Vernunft“. Merkels Kabinettssprecher Steffen Seibert stellte daraufhin klar, dass es keine Pläne für ein generelles Tempolimit gebe. Die meisten Deutschen sind jedoch für ein generelles Tempolimit.

Mindestgeschwindigkeit

Die vorgeschriebenen Mindestgeschwindigkeiten gelten in der Regel nur für bestimmte Fahrspuren, wie die gängige Konfiguration auf sechsspurigen Straßen mit einer Mindestgeschwindigkeit von 110 km/h auf der linken und 90 km/h auf der mittleren Fahrspur. Fahrzeuge, die eine Geschwindigkeit von 60 km/h (37 mph) in der Ebene nicht halten können, sind jedoch auf der Autobahn nicht erlaubt. Aus diesem Grund werden viele europäische selbstfahrende Kräne und andere überschwere Lkw, die bei viel höheren Geschwindigkeiten unsicher wären, aber ebenso unsicher oder unpraktisch (und sicherlich hinderlich) sind, um lange Strecken auf Straßen zwischen Baustellen und Depots zu fahren, mit maximalen Konstruktionsgeschwindigkeiten von etwas über 60 km/h konstruiert – typischerweise 62 km/h (39 mph) bei geregelter Motordrehzahl im höchsten Gang.

Richtgeschwindigkeit

Die bundesweite Richtgeschwindigkeit beträgt seit 1978 130 km/h.

Diese Richtgeschwindigkeit wird von der Rechtsprechung berücksichtigt. Wer zum Beispiel die Richtgeschwindigkeit um etwa 60 Prozent überschreitet, ohne einen anderen Grund als das frühere Erreichen des Wohnortes zu haben, hat keine Möglichkeit mehr, einen Unfall zu vermeiden. Eine Geschwindigkeit von 200 Stundenkilometern macht ein schnelles Ausweichen unmöglich, während die Einhaltung von 130 km/h und ein nur mäßiges Abbremsen den Unfall verhindert hätte.

HöchstgeschwindigkeitsbeschränkungBearbeiten

Einige Fahrzeugklassen haben eine spezifische Geschwindigkeitsbegrenzung, wie z. B. Lkw.

UnfallstatistikBearbeiten

Im Jahr 2013 wurden auf Autobahnen 31 % des motorisierten Straßenverkehrs abgewickelt, während sie für 13 % der Verkehrstoten in Deutschland verantwortlich waren. Die Autobahn-Todesrate von 1,9 Todesopfern pro Milliarde gefahrener Kilometer ist im Vergleich zu 4,7 Todesopfern auf städtischen Straßen und 6,6 Todesopfern auf Landstraßen günstig.

Im Jahr 2018 ist die Autobahn-Todesrate mit 1,7 Todesopfern pro Milliarde gefahrener Kilometer unsicherer als sowohl die französische mit 1,4 Todesopfern pro Milliarde gefahrener Kilometer als auch die britische mit 1,4 Todesopfern pro Milliarde gefahrener Fahrzeugkilometer. Das bedeutet, dass das Risiko von Verkehrstoten pro gefahrenem Fahrzeugkilometer in Deutschland 20 % höher ist als in Frankreich und fast 92 % höher als in Großbritannien.

Zwischen 1970 und 2010 sank die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland insgesamt um fast 80 % von 19.193 auf 3.648; im gleichen Zeitraum halbierte sich die Zahl der Verkehrstoten auf Autobahnen von 945 auf 430 Tote. Die Statistik für 2013 zeigt, dass die Gesamtzahl der Verkehrstoten in Deutschland auf den niedrigsten jemals gemessenen Wert gesunken ist: 3340; ein Vertreter des Statistischen Bundesamtes führte den allgemeinen Rückgang auf das strenge Winterwetter zurück, das den Beginn der Motorradfahrsaison verzögerte. Die Zahl der Verkehrstoten auf Autobahnen stieg jedoch gegenüber 2012 an (von 387 auf 428). Dennoch haben die Autobahnunfälle mit Lkw-Beteiligung zugenommen, was auf mehr Lkw-Verkehr und Staus aufgrund von Baustellen zurückzuführen ist. Die Unfälle ohne Lkw-Beteiligung sind dagegen wieder rückläufig.

Straßenklasse Unfälle mit Verletzten Todesfälle Rate pro 1.000.000,000 Fahrkilometern Todesfälle pro 1000 Verletzungsunfälle
Verletzungsrate Todesrate
Autobahn 18.452 428 82 1.9 23.2
Stadt 199.650 977 958 4,7 4,9
Ländlich 73.003 1.934 249 6,6 26.5
Gesamt 291.105 3.399 401 4.6 11,6

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